Zensur im Internet

Eigentlich haben wir es schon lange aufgegeben Zeit damit zu verschwenden uns über politische Entscheidungen aufzuregen. Da das FREE!-Projekt selbst jedoch aufgrund von Zensurdrohungen entstanden ist [1], können wir uns in diesem Fall einen Kommentar nicht verkneifen.

Am 18.06.2009 beschloss der Bundestag mit deutlicher Mehrheit das sogenannte Zugangserschwerungsgesetz. Unter dem Vorwand der Bekämpfung von Kinderpornographie wird damit eine Sperrinfrastruktur für das Internet errichtet. Das Bundeskriminalamt (BKA) soll täglich eine Sperrliste erstellen. Alle Zugangsanbieter mit mindestens 10.000 Teilnehmern müssen die Liste „unverzüglich“ und zumindest auf Ebene des Domain Name Systems (DNS) implementieren. Wer versucht eine Seite von dieser Sperrliste aufzurufen, bekommt statt dessen ein Stoppschild angezeigt.

Gelöscht werden Seiten mit kinderpornographischen Inhalten allerdings nicht. Wer solche Seiten aufrufen möchte, kann die Sperre einfach umgehen. Ein How-To zur Umgehung einer DNS-Sperre gibt es z.B. schon seit Jahren auf der Webseite des Chaos-Computer-Clubs [2]. Anlass für dieses How-To waren Zensurbemühungen der Bezirksregierung Düsseldorf im Jahre 2001.

Selbst vom Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco), deren Mitgliedern durch staatliche Regulierung eher weitere Einnahmequellen eröffnet werden, hört man ungewöhnlich Kritisches. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende, Oliver Süme: “Es fehlt immer noch ein sinnvolles Gesamtkonzept zur Bekämpfung der Kinderpornografie im Internet. Der Grundsatz Löschen vor Sperren ist leider nicht konsequent genug umgesetzt, weil dem Bundeskriminalamt ein viel zu weiter Ermessensspielraum bleibt. Es wäre sinnvoll gewesen, wenn das unabhängige Expertengremium neben der Kontrolle der BKA-Sperrliste auch die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips durch das BKA zu kontrollieren hätte. Wir sehen die Durchpeitschung eines derart umstrittenen Gesetzes im Eilverfahren daher mit Sorge, da grundlegende Fakten fehlten und viele verfassungsrechtliche Fragen unbeantwortet geblieben sind. Unsere Befürchtungen, dass die Maßnahmen auch auf andere Inhalte ausgedehnt werden könnten, bestehen nach wie vor.” [3]

Dass diese Befürchtungen berechtigt sind, zeigt sich in Ländern, in denen es derartige Sperrlisten bereits gibt, wie z.B. in Schweden, Dänemark und Australien. [4]

Die Richtung, in die es geht, hat der Bund deutscher Kriminalbeamter in seiner Stellungnahme vom 27.05.2009 bereits deutlich gemacht: „das Internet wird zunehmend als Medium für die Vorbereitung und die Ausführung abweichenden Verhaltens […] genutzt. […] Aufgrund ungefilterter Internetzugänge sind aber leider auch Inhalte wie Pornographie, Pädophilie, Islamismus, Rechts- und Linksextremismus, Terror und vieles mehr für Kinder und Jugendliche frei verfügbar.“ (Bundestags Ausschussdrucksache 16(9)1550) [5]

Bereits mit der Vorratsdatenspeicherung wurde eine Vorstufe der Zensur beschritten. Durch die verdachtsunabhängige Speicherung der Verbindungsdaten (wer wann von wo mit wem) wurde die gesamte Internet-Bevölkerung dem Generalverdacht des Terrorismus unterworfen [<6]. Durch die Vorratsdatenspeicherung besteht die Möglichkeit durch eine Mail an eine 'falsche' Adresse als Terrorist verdächtigt und verfolgt zu werden. Mit den Sperrlisten muss jetzt auch schon beim Aufruf einer 'falschen' Webseite staatliche Repression befürchtet werden. Die Daten über einen Benutzer, der auf eine solche Seite mit Stopschild gelangt ist, soll zwar nicht für Strafverfolgungszwecke verwendbar sein, aber die Speicherung dieser Daten beim Provider wird ausdrücklich nicht ausgeschlossen [7] (zu den offiziellen Netzsperren-FAQs siehe auch [8]).

Mit der nun beschlossenen Zensur des Internet wird ein neuer Raum der Möglichkeiten für die staatlichen Organe eröffnet. Bisher wird eine Liste mit zu zensierenden Inhalten als geheime/nicht öffentliche Liste bei der BPjM geführt, diese gab sich bisher damit zufrieden die Auffindbarkeit der Inhalte über Suchmaschinen zu verhindern (google verweist hier auf ChillingEffects.org), der Zugang ist jedoch noch möglich über direkte Eingabe der URL im Browser.

Durch die Eröffnung der Option Zensur, verwaltet bei einer Polizeibehörde wie dem BKA, fällt jede öffentliche Kontrolle über die gesperrten Inhalte weg. Der Bund deutscher Kriminalbeamter hat es bereits angedeutet: zensiert werden soll, was „abweichend“ ist, also (der Polizei) nicht gefällt, was kritisiert oder schlicht stört. Dass darunter auch nicht-verwerfliche Inhalte sein können, wird sich nach etwas Gebrauch der Liste herausstellen, siehe die o.g. Erfahrungen aus anderen Ländern. Neben politischen Seiten, werden sehr bald unter dem Druck der Lobbyverbände Tauschbörsen und allerlei andere unliebsame Inhalte gesperrt werden. Die CT bringt es treffend auf den Punkt: „Wenn [das Ziel] nicht die Bekämpfung von Kinderpornos ist, dann kann es nur um die Installation der Sperren selbst gehen. Das würde bedeuten, dass hier mit einem Vorwand eine geheime Liste eingeführt wird, die man nach und nach um weitere strafbare und unliebsame Inhalte erweitern kann.“ [9]

Und das Ziel kann nicht die Bekämpfung von Kinderpornos sein. Denn das Problem ließe sich z.B. durch Entfernen solcher Inhalte viel effektiver lösen. Darin sind sich die Kritiker des Gesetzes einig. Und Kritiker gibt es viele. Eine Online-Petition gegen das unsinnige und unverhältnismäßige Gesetz wurde in wenigen Wochen von 134.000 Menschen gezeichnet (der aktuelle Teilnehmer-Rekord). Den Bundestag interessiert so eine Petition offensichtlich nicht. Das Gesetz war gewollt (von wem auch immer …) und wurde dementsprechend beschlossen.

Die ersten Reaktionen im Internet sind vielfältig und durchaus kreativ. Bleibt nur zu hoffen, dass die jetzt eingeführte Zensur weitere Internet-AktivistInnen motiviert, sich für ein freies, nicht kapitalistisches, „von unten“ reguliertes Internet praktisch einzusetzen (mehr dazu in [10]).

Zum Schluss noch einige kreative Reaktionen auf das Zensurgesetz:

Grafiken

  • http://www.mediengestalter.cc/wp-content/uploads/2009/06/zensursula1.jpg
  • http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Bild:Stopschild.png
  • http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Bild:Eagle_slogan.png#filelinks
  • http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Plakate

Songs

  • http://www.youtube.com/watch?v=O4vbdusj7Pk&feature=topvideos
  • http://www.schockwellenreiter.de/blog/2009/06/19/willkommen-in-der-bananenrepublik/

Blogs

  • http://xxlkillababe.wordpress.com/2009/06/19/gewaltige-medien-und-blogger-reaktionen-auf-das-zugangserschwerungsgesetz/

Quellen

[1] http://www.free.de/pages/historie.html

[2] http://www.ccc.de/censorship/dns-howto

[3] http://www.eco.de/verband/202_6620.htm

[4] http://www.heise.de/newsticker/Kinderporno-Sperren-im-internationalen-Vergleich–/meldung/133295

[5] http://www.bundestag.de/ausschuesse/a09/anhoerungen/archiv/22_Anhoerung/Stellungnahmen/16_9_1550.pdf

[6] http://www.dubistterrorist.de

[7] http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/BMFSFJ/kinder-und-jugend,did=119244,textfragment=121796.html

[8] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30460/1.html

[9] http://www.heise.de/ct-tv/Hintergrund-Nach-der-Kritik-folgen-die-Warnungen–/artikel/2009/05/09/webcast/pruefstand/137373

[10] http://projekte.free.de/anarchismus-und-internet/A+I.midi.html#regulation-von-unten